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2010
Bilder © Constantin
*** Wir sind die Nacht
dennis gansel


Ein Damentrio macht Berlin unsicher. Sie sind Vampire, leben luxuriös und haben keine Feinde, denn für ihre Umwelt sind sie lediglich attraktive partyfeiernde weibliche Wesen, die nächtens zur Hochform auflaufen. Als Anführerin Louise (Nina Hoss) der heruntergekommenen Kleinkriminellen Lena (Karoline Herfurth) begegnet ist es um sie geschehen.

An Vampiren in Film und Fernsehen kommt man derzeit nicht vorbei. Ob ernste, romantische oder komödiantische Ansätze, es scheint als wäre das Erzählpotential bezüglich dieser blutsaugenden Kreaturen der Nacht nie ausgeschöpft. Die Existenzregeln werden dabei nach Belieben variiert wie es die Geschichte eben verlangt. Produziert werden diese Unterhaltungsfilme im Ausland, deutsche Filmemacher tun sich schwer damit Genreproduktionen in Landessprache finanziert zu bekommen, weil das heimische Publikum auf Komödien und Dramen konditioniert ist, Thriller- oder Horrorkost aber vorwiegend ignoriert wird, vor allem wenn bloß ein TV-Gesicht und kein Hollywoodstar im Bilde ist.

Es ist aber nicht so, dass sich eine vereinzelte Schar deutscher Filmemacher davon abschrecken lässt (oder ließ) sich mit dieser Facette des Horrorfilms zu beschäftigen. Der umstrittene Regisseur Uwe Boll drehte seine beiden von Kritik und Publikum verrissenen "BloodRayne"-Filme (2005/20007) in Rumänien und Kanada, natürlich in der für verbesserte kommerzielle Verwertbarkeit unabdinglichen englischen Sprache. Wohl nur eingefleischten Fans dürfte das From-Dusk-Till-Dawn-Rip-Off "Legion of the Dead" (2001) von Untergrund-Splatterfilmer Olaf Ittenbach bekannt sein. Und wer weiß schon, dass "Lindenstrassen"-Erfinder Hans W. Geissendörfer 1970 sein Spielfilmdebüt als Regisseur einer Bram-Stoker-Dracula-Adaption ("Jonathan" aka "Vampire sterben nicht") gab ?

Wagt man es überhaupt vom deutschen Vampirfilm zu sprechen, dann kommen dem Cineasten sofort zwei Titel über die Lippen - zum einen die weltweit geschätzte und das Genre nachhaltig prägende s/w-Stummfilmproduktion "Nosferatu - Eine Symphonie des Grauens" (1922) von F.W. Murnau und die davon inspirierte Werner-Herzog-Verfilmung "Nosferatu: Phantom der Nacht" (1979) mit Enfant Terrible Klaus Kinski. Es ist also längst überfällig, dass sich ein Produktionsstudio wie Constantin traut einen Genrefilm zu finanzieren, der sich mit einem ordentlichen Budget ausgestattet (u.a. unterstützte die Filmförderungsanstalt das Projekt mit 550.000 Euro) nicht hinter internationalen Produktionen verstecken muss - selbst wenn der große Wurf nicht gelingt.

Schon vor 14 Jahren hatte Dennis Gansel, damals noch Filmstudent in München, die Idee zu partywütigen Vampiren in Berlin und einer Liebesgeschichte zwischen einer Untoten und einem Sterblichen. Daraus wurde zunächst ein dreiseitiges Exposé mit dem Titel "The Dawn" was sich 1999 in einer ersten Drehbuchversion manifestierte. Finanzieren wollte das keiner obwohl Nina Hoss schon damals Interesse an der Rolle der Vampirlady signalisierte. Statt im Ausland sein Glück zu versuchen drehte Gansel die Pubertätskomödie "Mädchen, Mädchen" (2001), das in der Nazizeit angesiedelte Drama "Napola" (2004) und den spannenden Film "Die Welle" bei dem ein Lehrer ein Sozialexperiment mit drastischen Folgen veranstaltet. Der Erfolg dieses 2008 produzierten Dramas machte den Weg frei für "Wir sind die Nacht".

Und all die Jahre des Hoffens und Wartens scheinen sich in der entfesselt inszenierten ersten Hälfte des Films auch widerzuspiegeln, denn früh wird klar, dass Gansel hier nicht den Twilight-Schmusekurs fährt sondern mit pulsierendem Elektroscore, eleganten Kamerafahrten, schnellen Actionszenen und gewalttätigen Momenten ernst genommen werden will. Hauptfigur dieser Vampirmär ist die wieder einmal herausragend agierende Karoline Herfurth (Im Winter ein Jahr, Vincent will Meer) als junge Frau, die sich mit Taschendiebstahl über Wasser hält und die heruntergekommene Sozialwohnung mit ihrer desinteressierten Mutter teilt. Kein Wunder, dass sie nach anfänglichem Sträuben Gefallen an dem luxuriösen Vampirleben gefällt.

Der Transformation vom hässlichen Entlein der sozialen Unterschicht zur attraktiven, im Wohlstand (inklusive Lamborghini und Suite im Grand Hotel) schwelgenden, noch etwas schüchternen Frau räumt Gansel dabei viel Zeit ein, zeigt damit, dass dieser Wechsel kein romantisches Zuckerschlecken ist und nicht nur körperliche Qualen nach sich zieht. Herfurths Figur Lena kommt nämlich aus dem moralischen Dilemma des Tötens von Menschen, des Bluttrinkens um eigene Kräfte zu stärken nicht heraus. Diese innere Zerrissenheit ist bei den drei anderen untoten aber sonst sehr verschiedenen Damen längst verschwunden. Die haben ganz andere Luxusprobleme. Louise (Nina Hoss, Yella), die Chefin des Mini-Clans ringt um die Liebe von Lena, Charlotte (Jennifer Ulrich, Die Welle) ist depressiv, sehnt sich nach ihrer Familie und das flippige Ravergirl Nora (Anna Fischer, Groupies bleiben nicht zum Frühstück) hätte gerne einen männlichen Freund.

Männer spielen aber nicht nur in der hier vorgestellten Vampirwelt keine große Rolle - die Emanzipation der Vampirfrau hat alle männlichen Blutsauger dahingerafft, und dabei soll es nach Vorgabe von Louise auch bleiben - sondern sind in der Berliner Welt nur ersetzbare Spielfiguren. Da werden brutale Zuhälter (standesgemäß mit Luxuskarossen und KFZ-Kennzeichen wie B-IG 6969) abgeschlachtet und schüchterne Hotelpagen (aus Versehen) zum Frühstück vernascht. Doch ohne Liebesgeschichte ging es schon im Anfangsstadium der Projektentwicklung nicht und die wurde auch in die endgültige, filmreife Drehbuchversion hinübergerettet. Max Riemelt, derzeit in Kino und TV angesagter Schauspieler (nicht nur in Dennis-Gansel-Filmen), kann auch in seiner Rolle als netter Kommissar auf den Fersen von Lena und damit zwangsläufig ihren neuen Freundinnen nicht den Beweis erbringen warum er so oft besetzt wird.

Gansel hat zweifellos einen flotten, modernen, actionreichen Vampirthriller geschaffen, der vor allem durch seine visuelle Darstellung überzeugt. Inhaltlich fällt es ihm aber schwer aus vorhandenen Erzählmustern auszubrechen, eine konsequente Eigenständigkeit zu schaffen so dass vieles wirkt wie eine Zitatenansammlung amerikanischer Vorbilder. Ob "Near Dark" (getönte Autoscheiben bei Tagesfahrten), "Underworld" (Dekadente Lebensweise), oder "Blade" (Untergrundparties in ungewöhnlichen Orten), wer schon den einen oder anderen Vampirfilm gesehen hat wird sich weniger beeindrucken bzw. überraschen lassen als andere. Das größere Problem ist aber, dass dem Film im letzten Drittel die Luft ausgeht, die (überhastet eingefügten) Actionszenen und Verfolgungsjagden zu Füllmaterial verkommen und Nina Hoss als egoistische Leaderin nie wirklich zu überzeugen vermag. Auch die naiv-überdrehte Performance von Anna Fischer als comic relief ist arg gewöhnungsbedürftig.

Interessanter ist da schon die etwas stiefmütterlich behandelte Rolle von Jennifer Ulrich, die als still leidender Stummfilmstar in Erinnerungen an ihre kurze Karriere bis 1923 schwelgt (nett der Verweis auf Fritz Langs "Dr.Mabuse, der Spieler - Ein Bild der Zeit") und das Zurücklassen von Mann und Kind betrauert. Louise, die schon seit 250 Jahren auf Erden wandelt ist wie bei Lena und Nora Schuld an Charlottes Vampirdasein. Auf eine direkte Konfrontation der beiden und bessere Ausarbeitung des Konfliktes wird allerdings zugunsten der Lena-Geschichte verzichtet. Worauf Regisseur Gansel aber nicht verzichtet ist unzählige Male Berlin bei Nacht aus der Vogelperspektive inklusive Fernsehturm zu zeigen. Damit auch ja kein Zuschauer vergisst, dass diese Blutsauger unsere Hauptstadt unsicher machen und die Damen nicht einer Shoppingtour von Carrie Bradshaw irgendwo im Ausland folgen.

Selbst wenn nicht alles im Film so toll ist wie die Ausstattung, die Kameraarbeit und das Sounddesign ist dieser actionreiche Genrefilm doch sehenswert und man darf diesem Werk nur viele Zuschauer wünschen, damit sich mehr deutsche Produzenten trauen in Genres wie Horror und Thriller zu investieren. Mit "Wir sind die Nacht" sind wir schon auf einem guten Weg.

Text © Markus Klingbeil
VÖ: 27.10.2010

Wir sind die Nacht

Deutschland 2010. Farbe. Originalsprache: Deutsch. Länge: 100 Min. Bildverhältnis: 2.35:1 Kinostart: 28.10.2010 (D). Budget: n/a Einspiel: n/a Regie: Dennis Gansel. Buch: Dennis Gansel. Screenplay: Dennis Gansel, Jan Berger. Kamera: Torsten Breuer. Schnitt: Ueli Christen. Musik: Heiko Maile. Darsteller: Karoline Herfurth, Nina Hoss, Jennifer Ulrich, Anna Fischer, Max Riemelt.

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© Layout, Text: Markus Klingbeil, Bilder: Filmverleih