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2007
Bilder © Koch Media/Neue Visionen
**** Tödliche Entscheidung
sidney lumet


Es sollte ein einfacher Job sein, niemand sollte verletzt werden und die Versicherung würde für den Schaden aufkommen. Doch der Überfall läuft gründlich schief und zwei Brüder müssen alle Spuren und Mitwisser beseitigen wollen sie nicht für ihre Tat bestraft werden.

Sidney Lumets letzter Film ‚Find Me Guilty - Der Mafiaprozess' mit Vin Diesel in der Hauptrolle lief 2006 auf der Berlinale. In Deutschland lief er nie im Kino, wurde Anfang diesen Jahres auf DVD veröffentlicht und zeitgleich als Mitternachtsfilm im Privatfernsehen ausgestrahlt. Diesmal ist dem mittlerweile 83jährigen Regisseur, der immerhin Klassiker wie ‚Die Zwölf Geschworenen' (1957), ‚Serpico' (1973), ‚Network' (1976) und die Familiengaunerkomödie ‚Family Business' (1989) vorzuweisen hat, mit ‚Tödliche Entscheidung' besseres vergönnt. Der Film, der in Amerika bereits letztes Jahr im Herbst lief, bekam durchweg gute Kritiken und wird auch auf deutschen Kinoleinwänden zu sehen sein. Und das ist auch gut so, denn das erste Drehbuch von Kelly Masterson bietet Lumet genügend Ansatzpunkte für die Inszenierung eines packenden, düsteren Familiendramas.

Kümmerte sich Lumet in ‚Family Business' bereits um verschiedene Aspekte einer schwer funktionierenden Familie mit Sohn, Vater und Großvater so wurden dabei aber auch vermehrt komische Aspekte herausgearbeitet. Mit Matthew Broderick als Sohn, Dustin Hoffman als Vater und Sean Connery als Großvater fand Lumet die ideale Besetzung dafür. Fast zwanzig Jahre später versammelt Lumet wieder ein großartiges Ensemble um sich und taucht ein in eine von Hilflosigkeit, Gleichgültigkeit, Schmerz, Hass, Wut und Verrat geprägte Familiengeschichte. Philip Seymour Hoffman überzeugt als älterer Bruder Andy, der angeödet von Job und der Stadt New York am liebsten wieder nach Rio abhauen will. Dort wo er mit seiner Frau den letzten Urlaub verbracht hatte. Außerdem hat er Firmengelder veruntreut und die Steuerprüfung steht an. Doch um Auszusteigen braucht man Geld, viel Geld. Hierbei kommt Ethan Hawke als jüngerer Bruder Hank ins Spiel, der chronisch pleite und mit Unterhaltszahlungen für seine Tochter Monate im Rückstand ist. Die schamlose Idee die eigenen Eltern, Besitzer eines kleinen Juwelierladens in einem Vorort, zu berauben verkauft Andy seinem unschlüssigen Bruder mit kaltschnäuziger Nüchternheit und einem scheinbar wasserdichten Plan. Niemand wird verletzt, niemand kommt zu Schaden, die Versicherung wird zahlen.

Lumet spult die Geschichte aber nicht in chronologischer Reihenfolge ab sondern präsentiert den Überfall und seine Ursachen und Folgen wie ein bitterböses, wendungsreiches Puzzlespiel, das die ganze Aufmerksamkeit des Zuschauers fordert. Dabei merkt man früh an Bildkomposition und Schnitt das hier mehr Old-School-Methoden Anwendung finden und Wert auf eine intensive Charakterstudie der beiden Brüder und des Vaters, gespielt von Albert Finney, gelegt wird. Man vermisst auch keine heftigen, hektischen, schnellen Schnitte oder einen pulsierenden Soundtrack sondern man kostet jeden Moment aus, denn hier wird großes Schauspielkino geboten. Das Hin- und Herspringen im Handlungsablauf bleibt dabei auch deswegen interessant, weil der Startpunkt der Einzelepisoden personenbezogen ist und man nach und nach mehr Informationen über das Verhältnis der Hauptfiguren zueinander erhält. Das Überlappen der Erzählstränge mit vorher gesehenen Szenen hilft dabei alles zu einem Ganzen zusammenzusetzen.

Die interessanteste Figur ist wohl Andy. Andy hat ein sehr distanziertes Verhältnis zum Vater, weil er nie die Anerkennung genoss wie sein jüngerer Bruder. Das zeigt sich insbesondere in einer beeindruckenden Szene nach der Beerdigung der Mutter, wenn die aufgestauten Gefühle hervorbrechen und Fehler eingestanden werden. Umso tragischer ist es dann, dass der Fehler den Andy und sein Bruder gemacht haben nicht gutzumachen ist und sich Hass und Wut zu einem tödlichen Cocktail vermischen, der in plötzlich auftretenden, emotional gesteuerten Gewaltakten eskaliert und den Film zu einer tragischen Familiengeschichte ohne Happy End macht. Seymours Charakter wirkt zunächst allein durch sein aalglattes Auftreten unsympathisch, stößt aber im Verlauf des Films diese Oberflächenschicht ab und entpuppt sich als gebrochener, verzweifelter Charakter, dessen rationale Vorgehensweise nach und nach unkontrollierbarem Aktionismus weicht. Bei dieser starken Performance Hoffmanns schafft es im Grunde nur Albert Finney ein schauspielerisches Gegengewicht zu setzen. Das intensive Zusammenspiel der Schauspieler lässt vermuten, dass die Darsteller ihrem Regisseur sehr vertrauten, insbesondere Marisa Tomei zeigt sich in ihrer Rolle als frustrierte, unzufriedene aber hilflos agierende Ehefrau Andys so offenherzig und verletzlich wie selten.

Mit ‚Tödliche Entscheidung' präsentiert Altmeister Lumet ein packendes, unkonventionelles Schuld-und-Sühne-Drama um einen missglückten Raubüberfall, bei dem alle Beteiligten am Ende als Verlierer dastehen. Die Ereigniskette, die einmal losgetreten nicht mehr aufzuhalten ist wirkt auf unbequeme Weise real und wenig konstruiert. Großartig besetzt mit Philip Seymour Hoffman, Ethan Hawke, Albert Finney und Marisa Tomei sollte man sich diese beeindruckende Charakterstudie nicht entgehen lassen.
Text © Markus Klingbeil
VÖ: 10.02.2008

Tödliche Entscheidung

(Before the devil knows you are dead)

USA 2007. Farbe. Originalsprache: Englisch. Länge: 117 Min. Bildverhältnis: 1.85:1 Kinostart: 26.10.2007 (US) 10.04.2008 (D). Budget: 18 Mio. USD Einspiel: 7 Mio. USD (USA) 25 Mio USD (weltweit)Regie: Sidney Lumet. Buch: Kelly Masterson. Kamera: Ron Fortunato. Schnitt: Tom Swartwout. Musik: Carter Burwell. Darsteller: Philip Seymour Hoffman, Ethan Hawke, Marisa Tomei, Albert Finney, Rosemary Harris, Amy Ryan, Aleksa Palladino, Michael Shannon.
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© Layout, Text: Markus Klingbeil, Bilder: Filmverleih