Sayra (Paulina Gaitan) ist mit ihrem Vater und Onkel auf dem Weg von Honduras über Guatemala und Mexiko an die Ostküste der USA. Casper (Édgar Flores) ist Mitglied der Mara, einer verbrecherischen Vereinigung, die u.a. im Süden Mexikos ihr Territorium eisern verteidigt. Bei einem Überfall mit tödlichem Ausgang führt das Schicksal die beiden jungen Menschen zusammen und gemeinsam fliehen sie Richtung Norden.
Der lateinamerikanische Film findet im deutschen Kino nur gelegentlich statt. Im Festivalzirkus sind diese Geschichten aber ein fester Bestandteil und geben einen interessanten Einblick in die oft als ruppige, gefährliche oder einfach nur als andersartig, faszinierend beschriebene Welt eines entfernten Kontinents. Bei der diesjährigen Oscarverleihung gewann zudem der argentinische Beitrag "El secreto de sus ojos" und triumphierte damit u.a. auch über "Eine Perle Ewigkeit" aus Peru.
Der in Kalifornien geborene Regisseur Cary Fukunaga, Sohn eines japanischen Vaters und einer schwedischen Mutter, versucht nun in seinem tagesaktuellen Film, gleichzeitig sein erster abendfüllender Spielfilm, mehrere Genres miteinander zu verknüpfen. Für seinen Mix aus Gangster-, Flüchtlings-, und Liebes-/Coming-of-Age-Drama nimmt sich Fukunaga, Jahrgang 1977, viel Zeit um dem Zuschauer beide Hauptfiguren über separate Handlungsstränge näher zu bringen.
Auf der einen Seite steht das harte Gangleben, das den 18jährigen Caspar prägt, auch wenn er sich nicht 100% den Regeln der Mara unterordnet. Zwar hat auch er schon einen Mord hinter sich, der zum Aufnahmeritual der Gang gehört, wirkt aber sonst mehr wie ein Mitläufer. Seine Freundin, die in einem besseren Viertel wohnt, verschweigt er aber den anderen. Als das sein Gangchef mitbekommt eskalieren die Dinge und Caspar erkennt, dass ihm diese kriminelle Bruderschaft nicht das geben kann was er für sein noch junges Leben braucht.
Ganz anderes hingegen der noch jüngere Smiley, ein Kind das schnell erwachsen werden muss um sein Leben zu retten. Er muss sich bald entscheiden ob er für seinen Freund Caspar eintritt oder sich der umbarmherzigen Hierarchie der Mara unterwirft, die ihm im Gegenzug Schutz und ein bisher unbekanntes Zugehörigkeitsgefühl verspricht. Auch in Sayras Leben herrscht nicht Eitel Sonnenschein und so gibt Autor/Regisseur Fukunaga der Auswanderungsthematik ein Gesicht. Anhand ihrer Geschichte schildert er eindringlich die harten, nicht enden wollenden Strapazen, die viele Südamerikaner auf sich nehmen um illegal die Grenze nach Amerika zu überqueren, wo sie sich ein besseres Leben versprechen.
Für Sayra sind die Aussichten aber weniger verheißungsvoll, denn zu ihrem Vater, der eine neue Familie in New York gegründet hat, hat sie keine herzliche Beziehung. Andererseits liegt in Honduras eine trostlose Zukunft vor ihr und so durchwandert das Trio Dschungelgebiet, überquert Flüsse und ist ständig auf der Hut vor Räubern und Grenzpolizisten. Auf den Dächern der Zugwaggons sitzend hoffen sie ihrem Traum stündlich näher zu kommen. Sowohl Édgar Flores als auch Paulina Gaitan überzeugen in ihren Rollen als Casper und Sayra. Für Flores ist es die erste Hauptrolle in einem Kinofilm. Gaitan war u.a. in Marco Kreuzpaintners "Trade - Willkommen in Amerika" (2007) an der Seite von Kevin Kline zu sehen.
Verwöhnt wurde man ja in der Vergangenheit von spannenden Filmen aus Lateinamerika wie CITY OF GOD, TROPA DE ELITE oder LAST STOP 174 und PERRO COME PERRO (letztere leider nur als dt. DVD-Releases). Diese Filme haben sich allerdings konsequenter und packender dem Thema Strassen-/Jugendkriminalität zugewendet. Bei SIN NOMBRE fehlt es zwar nicht an guten Darstellern oder einem glaubwürdigen kulturellen Hintergrund der Figuren aber an einer Geschichte, die überrascht. Es hilft zudem nicht den Film in deutscher Sprache zu sehen, da insbesondere die Synchronisation der Gangsprache dem Film die spezielle Klangfarbe nimmt, ein wichtiges Stilmittel gerade bei solchen Filmen.
Die Handlung dieses von Gael García Bernal und Diego Luna produzierten Dramas verläuft erwartungsgemäß. Verrat und Rache wird zwar in brutaler Konsequenz gezeigt aber durch zu viele ruhigere Phasen ihrer Wirkung beraubt. Im ganzen gesehen bleibt ein ordentlicher Film, der aber trotz seiner Themenvielfalt weniger Eindruck macht als erhofft.