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2006
Bilder © Mars Distribution
**** Crime Insiders
fréderic schoendoerffer


In der Pariser Unterwelt gibt es verschiedene Banden, die ihre Finger in allem drin haben was Geld bringt - Menschenhandel, Prostitution, Drogen, Autoschiebereien, Waffenhandel. Doch insbesondere einer, Claude Corti, (Theatermime Phillip Caubère), ein rücksichtloser Gangster, der es nicht ohne Grund ganz nach oben geschafft hat, ist vielen ein Dorn im Auge. Mit im Dunstfeld Cortis befindet sich Franck (Benoît Magimel), der als Auftragskiller zusammen mit Partner Jean-Guy (Olivier Marchal) auf eigene Rechnung tätig ist. Doch es kommt der Tag an dem sich Franck entscheiden muss auf welcher Seite er steht..

Nach dem dramaturgisch schwachen "Agents Sécrets" (2004), der hierzulande nur auf dem Fantasy Filmfest lief und 2006 auf DVD erschien, taucht Fréderic Schoendoerffer in seinem neuesten Werk "Truands" (zu dt. Gangster) wieder ins kriminelle Milieu ein. Diesmal liefert er eine Studie über die Rivalitätskämpfe der in Paris agierenden kriminellen Banden, die sich aus Personen unterschiedlicher sozialer Schichten und Kulturkreisen zusammensetzen. In dieser Unterwelt, in der Hierarchie und Ehrencodex zu bedeutungslosen Worthülsen verkommen sind, besteht ein ständiger Kampf um die Vorherrschaft, die z.Zt. noch der erfahrene Fuchs Claude Corti für sich beansprucht. Dass das Geschäft mit Waffen, Drogen, Autos und Prostituierten kein Zuckerschlecken ist und fern von jeglicher cooler Kinofantasie, legt Schoendoerffer schonungslos offen. Auch wenn seine Gangster sich mit Statussymbolen wie deutschen Luxuskarossen und maßgeschneiderten Anzügen schmücken, sie verhalten sich wie profitgeile Machos, die sich mit Gossensprache artikulieren und sich das nehmen was sie wollen. Gewalt ist da gängiges Mittel zum Zweck.

Gnade hingegen ist ein Zeichen von Schwäche, denn niemand "fickt" Kontrollfreak Claude Corti. Eindeutigen Worten folgen noch eindeutigere Taten. Es ist schon ärgerlich genug, dass ein Clubbesitzer in Cortis Einflussbereich keine Kohle abdrücken will. Als dann noch ein Drogendeal in die Hosen geht und bei einem Hinterhalt einige Männer Cortis das Zeitliche segnen platzt Corti der Kragen. Nachdem der Mittelsmann rasch gefunden wird übernimmt der Chef persönlich die Folterung. Ehrbezeugungen und Versprechungen stoßen nur auf taube Ohren. Es ist schon eine Weile her, dass man einen derart sadistischen, gnadenlosen Charakter im Film gesehen hat (da fällt einem die Rolle des Tchéky Karyo aus "Dobermann",(1997) ein). Phillip Caubère, der die letzten 15 Jahre nur fürs Theater gearbeitet hat, gelingt es dabei bei seinem Kino-Comeback äußerst überzeugend und glaubhaft diese kaputte Figur darzustellen. Da ist selbst Jack Nicholson in seiner Rolle als Frank Costello ein Chorknabe dagegen. Cortis ist ein Macho, ein Chauvinist, der Frauen, die für ihn anschaffen sollen auch selbst "testet". Und Schoendoerffer erspart dem Publikum diese an eine Vergewaltigung erinnernde Szene nicht. Behandlung der Frau als Objekt wird auch später im Film noch in einer abstoßenden Szene thematisiert.

Wer einen sympathischen Charakter in ‚Truands' sucht, der wird es schwer haben. Zwei Kandidaten wären Franck (Benoît Magimel) und Partner Jean-Guy (Olivier Marchal). Aber als abgebrühte, eiskalte Profikiller, die emotionslos ihre Jobs ausführen und selbst unschuldige Personen, die einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort waren, gnadenlos ermorden, sollte man sie von der Liste streichen. Weitere illustre Protagonisten, die mit Nicknames wie ‚die Cousins', ‚der Chinese' oder ‚der Grieche' tituliert werden machen sich entweder selbst die Finger schmutzig oder haben ihre Leute dafür. Letztlich ist es aber eine Frau, die von Béatrice Dalle verkörperte Maitresse Cortis, die von allen Charakteren am menschlichsten bleibt, da sie trotz allem Cortis liebt und ihn selbst in schwierigen Zeiten nicht im Stich lässt. Die unvermeidbare Gewalt, die bei einem Interessenkonflikt entsteht erinnert dabei in ihrer realistischen, kurz-prägnanten, explosiv auftretenden Art an die Gangsterstreifen eines Takeshi Kitano. Hier bekommt das Wort ‚Durschlagskraft' eine ganz neue Intensität, wenn die Kugeln von Pumpgun und Automatikwaffe die Körper regelrecht zerfetzen. Szenen, wie man sie aus John Woos früheren Hong-Kong-Filmen kennt ohne dass Schoendoerffer allerdings auf Stilmittel wie Zeitlupe zurückgreift. Ein ironischer Kommentar danach à la Tarantino bleibt in der Regel aus. Das Attribut ‚cool' ist bei diesen Killern also unangebracht, weil realitätsfern.

Auch wenn die Protagonisten nach außen hin, in ihrem "Beruf", ganz Profi sind so sind sie dennoch nicht frei von Schwächen. Cortis Schwäche ist seine Lebensgefährtin Béatrice, die als eine der wenigen Frauen im Film menschenwürdig behandelt wird, und der junge Profikiller Franck, der immer zuverlässig die aufgetragenen Jobs ausgeführt hat. Franck wiederum, ein Profi durch und durch, jederzeit bereit seine mit Designermöbeln und Designerküche ausgestattete, immer aufgeräumte Wohnung aufzugeben, ist von Frauen dunklen Hauttyps fasziniert. Und auch Jean-Guys Schwäche für eine Frau führt sogar zu Heirat. Das Schwächen ausgenutzt werden oder zu Komplikationen führen ist ein dramaturgischer Kniff, den uns das reale Leben lehrt. Wer nach der fulminanten, an "Heat" erinnernden, Shootout-Szene auf dem Parkplatz einen actionintensiven Film im Sinne Hollywoods erwartet, der wird enttäuscht werden, denn viel mehr als die Gewaltakte, die unvermeidlicherweise im Gedächtnis bleiben, ist die Geschichte geprägt durch die Verflechtungen der Charaktere untereinander. So werden z.B. in den ersten 15 Minuten viele Personen eingeführt, die zwar z.T. nur kleinere Rollen haben aber dennoch für den Fortgang und den Ausgang der Geschichte ungemein wichtig sind. Für denjenigen, der zu Beginn den Überblick verliert, für den wird es mühsam werden alle Personen und deren Agenda auseinander zu halten, aber letztlich versucht jeder über kurz oder lang selbst an die großen Fleischtöpfe zu kommen. Fressen und Gefressen werden heißt hier das Lebensmotto. Oder frei nach einer kurzlebigen TV-Show: Der Schwächste fliegt. Die Frage ist nur wann ist es am nützlichsten dass ein Rivale vom Erdboden verschwindet ?

Dieses bewusst tiefe Eindringen in die Unterwelt lässt kaum Raum für die Sichtweise der Polizei, denn bis auf eine Schlüsselszene, wenn Gangsterboss Corti verpfiffen wird, spielt die Polizei im Film keine Rolle. Man muss dies wohl so deuten, dass die Polizei meist dem Treiben der Gangster machtlos gegenüber steht und nur selten einen dicken Fisch an der Angel hat. Damit unterscheidet sich auch der Ansatz des Films verglichen mit dem von Olivier Marchal, der hier als Schauspieler überzeugt, 2004 aber mit "36 tödliche Rivalen" selbst einen spannenden Film drehte - über den französischen Polizeiapparat. Schoendoerffers Blick auf die Machenschaften des organisierten Verbrechens zeigt sich in nüchternen Bildern; in einigen mit Handkamera gedrehten Sequenzen wirkt das Ganze auch fast dokumentarisch und dicht am Puls des Geschehens. Die technisch wohl komplizierteste und schön anzusehende Kamerafahrt um ein auf der Hauptverkehrsstraße fahrendes Auto relativ zu Beginn des Films bleibt dabei eine Ausnahme. Auch was die Todesszenen betrifft verlässt sich Schoendoerffer meist auf einen Blickwinkel was die Ausführung des Jobs nüchtern, kalt, alltäglich, unspektakulär erscheinen lässt. Ein Moment im Tage eines Killers eben. Und konsequent beendet Schoendoerffer den Film mit der Aufnahme von Benoit Magimel, der auch zu Beginn als erster im Bild zu sehen war.

Schoendoerffers intensives und überzeugendes Portrait der Pariser Unterwelt zeigt einen erbarmungslosen Konkurrenzkampf bei dem nicht lange diskutiert sondern gehandelt wird und keine Regeln gelten oder Hierarchie-Gedanke und Ehrenkodex etwas zählen. "Crime Insiders" (OT: Truands) ist ein harter, schnörkelloser Thriller, der erschreckend realistisch die rauen Sitten und den Umgang untereinander dokumentiert, die im Milieu vorherrschen. Wer sagt "Männer sind chauvinistische Schweine" , der wird in diesem Filmbeitrag keine Gegenargumente finden. Was man aber hier findet ist eine interessante, spannende Geschichte über Egozentrik, Verrat, Macht- und Profitgier. Inszeniert hat Schoendoerffer sein persönliches Caesar-und-Brutus-Drama mit einer erstklassigen Besetzung, angeführt von Phillipe Caubère und dem omnipräsenten Benoît Magimel.


Text © Markus Klingbeil
VÖ: 29.07.2007

Crime Insiders

OT: Truands. F 2006. Länge: 107 Min. Bildverhältnis: 2.35:1 Kinostart: 17.01.2007 (F). Budget: - Einspiel: - Regie: Fréderic Schoendoerffer. Buch: Fréderic Schoendoerffer, Yann Brion. Screenplay: - Kamera: Jean-Pierre Sauvaire. Schnitt: - Musik: - Darsteller: Benoît Magimel, Philippe Caubère, Béatrice Dalle, Olivier Marchal, Mehdi Nebbou, Tomer Sisley, Ludovic Schoendoerffer.
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