2007
Bilder © Concorde
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***** 4 Monate, 3 Wochen und 2
Tage
cristian mungiu
Gabita (Laura Vasiliu) ist schwanger, aber außer ihrer besten Freundin Otilia
(Anamaria Marinca) hat sie keine andere Vertrauensperson, die ihr bei dem schwierigen Schritt, der Abtreibung des
ungeborenen Kindes, zur Seite steht. In dem fortgeschrittenen Stadium der Schwangerschaft ist die Abtreibung im
Ceausescu-regierten Rumänien der 80er illegal aber ein freundlich wirkender Arzt will trotzdem
helfen.
Mit ‚4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage' kommt jetzt einer der bemerkenswertesten Filme des
Jahres in unsere Kinos. Ein Film, der durch seinen realitätsnahen, fast dokumentarischen Ansatz die Verzweiflung, das
Leid und die Ausweglosigkeit der beiden Hauptfiguren ungeschönt schildert und eine emotionale Wucht entfaltet, die den
Zuschauer nicht kalt lassen kann. Herausragend dabei ist Anamaria Marinca, die als treue Freundin Otilia große,
menschenunwürdige Opfer auf sich nimmt um der verzweifelten Gabita aus der Klemme zu helfen. Dabei folgt die Kamera
Otilia fast in Echtzeit auf Schritt und Tritt und so bindet dieser Erzählstil den Betrachter noch fester an die
Protagonistin. Wir wissen nur soviel wie sie selbst auch, werden mit den Schwierigkeiten konfrontiert, die eine
Studentin hat ein Zimmer in einem Hotel anzumieten und erfahren von den ernsten Problemen, die sich durch die
Geheimhaltung der heimlichen Abtreibung ergeben.Intensiv in den Film hineingezogen wird man nicht nur durch das leise,
ungekünstelte Spiel der Darsteller sondern vor allem auch durch die Art und Weise der kargen Bildsprache, die
Kameramann Oleg Mutu im Cinemascope-Format vermittelt.
Das Bild ist nicht künstlich bearbeitet, wirkt grobkörnig auch wegen des Verzichtes
auf künstliche Beleuchtung. Ein rauer, trostloser, komplett an Originalschauplätzen entstandener intensiver Look. Da
gibt es dann auch einige Szenen, die viele Minuten in der selben Einstellung verweilen - ohne Schnitt - und ähnlich wie
bei Gaspar Noés ‚Irreversible' (2002) zur Unbehaglichkeit führen, weil man selbst als
Betrachter hilflos an einer ausweglosen Situation teilnimmt. Andere Szenen, z.B. zu Beginn des Films im
Studentenwohnheim, führen eine unüberschaubare Schar an Personen ein, die es schwer machen sich zu recht zu finden. Da
- und auch später bei einer Geburtstagsfeier - wird dann munter durcheinander geredet oder hin- und hergelaufen ohne
dass die Kamera den Bewegungen folgt - dass Köpfe von Personen dann im Bild nur ‚angeschnitten' werden auch wenn sie
gerade sprechen ist also gewollt und kein Fehler vom Filmvorführer. Mit dem Einsatz von Musik wird im Film äußerst
sparsam umgegangen (kein eigener Score), so dass es keine Chance gibt vom Geschehen auf der Leinwand abgelenkt zu
werden.
Verstörend sind insbesondere die Schlüsselszenen im Hotelzimmer, wenn der anfänglich
freundliche Mr.Bebe (Vlad Ivanov) den beiden Studentinnen seine neuen Bedingungen diktiert, falls sie wollen, dass er
die Abtreibung vornimmt. Dabei gibt sich Bebe unerträglich selbstsicher, gefühlskalt und fast emotionslos. Was für ihn
normal ist, ist für die beiden jungen Frauen die schrecklichste Erfahrung ihres Lebens. Der Film wirkt ehrlich und
berührt und wurde nicht umsonst als bester Film bei den Filmfestspielen in Cannes ausgezeichnet. Der Film beweist auch,
dass nach ‚ The Death of Mr. Lazarescu' (2005) von Cristi Puiu auch weiterhin mit
interessanten Filmen aus Rumänien zu rechnen ist. Der überzeugend reale Look bei beiden Filmen kommt dabei nicht von
ungefähr. Sowohl bei ‚The Death of Mr. Lazarescu' als auch bei ‚4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage' war Oleg Mutu der
verantwortliche Kameramann. Christian Mungiu ist mit seinem dialogreichen
Film ein beeindruckendes Porträt einer Frau während der Ceausescu-Diktatur in Rumänien gelungen, die sich aufopfernd um
ihre in Schwierigkeiten geratene Freundin kümmert und selbstlos ihre eigene Würde opfert. Ein Film, der schockiert,
nachdenklich und traurig zugleich macht ohne aber sentimental oder kitschig zu sein. Starkes osteuropäisches
Kino.
Text © Markus Klingbeil
VÖ: 20.11.2007
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